Dienstag, 27. Januar 2009

000: Vorspiel

»Fast wollte ich mit und dabei sein.«
Günter Grass: »Die Plebejer proben den Aufstand«
Uraufführung am 15. Januar 1966 im Schiller-Theater Berlin


Es geschah an einem bitterkalten Tag...
Nürnberg. Freitag, 14. Januar 1966. 14.00 Uhr.
Die Minuten verstri­chen. Immer noch kamen Berufskollegen zur Tür herein. In der Nacht wa­ren die Tem­pe­raturen auf minus 15 Grad gesunken. Es war glatt auf den fränkischen Stra­­ßen. Schließlich hatten sich 106 Steuerbevollmächtigte aus dem Kammerbezirk durch das eisige Win­ter­wet­ter gewagt. Hier am Kornmarkt, im Großen Saal des Christlichen Ver­eins Junger Männer (CVJM), hatten sie sich ge­trof­fen, um einen Vorschlag ihres Präsidenten Heinz Sebiger zu disku­tieren: »die Gründung eines zentralen Re­chen­zentrums auf genossenschaftlicher Basis«.
Es war kurz nach 14.00 Uhr, als Sebiger den Vizepräsidenten Dr. Gerhard Nopitsch antipp­te. »Es fehlen zwar noch rund 30 Kollegen, aber wir fangen jetzt an.« Nopitsch nickte.

Ein Markt von einer Million Buchungszeilen
Sebiger ging zum Podium. Winter und Wetter waren vergessen. Jetzt ging es da­rum, die Zukunft zu buchen. »Dies ist eine Interessenten­be­spre­chung«, erklärte der Nürnberger. »Die Umfrage unserer Kammer, die wir im Rationalisierungsausschuss erarbeitet und am 25. No­vem­ber vergangenen Jahres an die 1.600 Mit­glie­der verschickt haben, war ein großer Erfolg. 404 Kollegen haben die zum Teil sehr schwie­­rigen Fragen beantwortet. Das Ergebnis ist eindeutig. Die­ Mandanten kommen im verstärkten Maße auf unseren Berufsstand zu mit dem Wunsch, dass wir für sie die Buchführung überneh­men. Lie­be Kollegen, wir können uns diesem Ansinnen wohl kaum entziehen, ob­wohl es große organisatorische und technische Anforderungen an je­den von uns stellt. Die Auswertung der Umfrage ergab, dass al­lein bei den Kollegen, die den Fragebogen ausgefüllt zurück­sand­ten, ein monatlicher Bedarf von mehr als einer Mil­lion Bu­chungs­zeilen pro Monat besteht. Im Rationalisierungsausschuss, den wir im ver­gangenen Jahr auf Kammerebene gegründet haben, sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass dahinter eine Aufgabe steht, die wir ge­meinschaftlich lösen müssen. Wir haben Ihnen deshalb mit der Um­frage die Idee vorgestellt, ein Rechenzentrum auf genos­sen­schaft­licher Basis zu gründen. Die nun vor­liegenden Ergebnisse bestätigen die Richtigkeit dieser Idee. Immerhin stehen 130 Kol­le­gen der Gründung eines Rechenzentrums grundsätzlich positiv ge­genüber.«

»Was sollen wir mit 68.000 Mark?«
Dann stellte Sebiger seinen Fachmann vor: Joachim Mattheus, eben­falls Steuerbevollmächtigter in Nürnberg und Computer-Experte. De­tailliert erläutert Mattheus das organisatorische und tech­ni­sche Konzept, das hinter der Idee steht. Die Teilnehmer sind be­eindruckt. Zwar gibt es noch viele offene Fragen, die auch hef­tig diskutiert werden, doch als es nach zwei Stunden zum Schwur kommt, zeichnen spontan »68 Kollegen eine ver­bindliche Zu­sage über den Beitritt zur Genossenschaft«, vermerkt das Protokoll.
Die Akzeptanz war höher als erwartet. Zwar wusste keiner so recht, was da auf ihn zu­kam. Aber auf jeden Fall wirkte das Konzept zukunftsträchtiger als die Lösungen, die sie bislang auf eigene Faust in ihren Kanzleien er­probt hatten. Dieser Vorschlag war den Einsatz wert. Und dies erst recht, nachdem Mattheus vorgeschlagen hatte, den ur­­sprüng­lich auf 1.000 Mark fixierten Genossen­schafts­anteil je Mit­glied zu halbieren. »Was sollten wir mit 68.000 Mark Startka­pi­tal? Die Hälfte tut's auch.«
So wurde der entsprechende Passus auf dem Beitrittsformular hand­schriftlich von jedem der 68 Gründer geändert. Und sie taten es ger­ne: denn 1.000 Mark war eine Stange Geld, fast ein Monatseinkommen.
Nun musste nur noch das Fähnlein gefunden werden, das die Schluss­fassung der Sat­zung ausarbeitete, der Genossenschaft ihren Namen gab und alle Formalitäten mit dem Registergericht regelte. Einen Monat später, am 14. Februar 1966, wurde die DATEV end­gültig ge­grün­det.