Samstag, 31. Januar 2009

I: 1.1 Ein Großrechner wird angekündigt...



Paris. Dienstag, 30. Juni 1970, 14.30 Uhr. Im Haus der französischen Eisenbahnergewerkschaft, direkt neben dem Hilton-Hotel, verkündet Jacques Maisonrouge, Präsident der IBM World Trade Corporation, den aus ganz Europa herbei gejetteten Journalisten: »In den vergangenen Monaten konnte man gelegentlich von der bevorstehenden Ankündigung eines Nachfolgesystems für unsere Computerserie /360 hören. Ich habe heute das große Vergnügen, alle Ungewissheiten durch die Ankündigung des IBM Systems /370 zu beenden...« [1]

Eine Fülle von technischen Details, cineastische Vorführungen und eine televisionäre Life-Übertragung nach Montpellier in Südfrankreich, in die Großrechnerfertigung der IBM, prasselt auf die Journalisten und Analysten nieder. Ein grandioses Spektakel um Bits und Bytes nimmt seinen Lauf. Rund um den Globus. Zum selben Zeitpunkt, »auf die Minute genau«, wie die in Köln erscheinende »Zeitschrift für Datenverarbeitung“ (heute Online) schreibt, wird die neue Computerserie in New York und Tokio angekündigt.[2]





Quellen:

[1] Die Computer Zeitung, 8 Juli 1970, Norbert Leckebusch: »System/370: Massenspeicher und minimale Zugriffszeiten«
[2] ZfD, Jahrgang 1970, Ausgabe Juli, Seite 302ff: »Fortschritt ohne Revolution«

I: 1.2 ... vor allem für die größten Unternehmen der Welt

Mit der Vorstellung der neuen Rechnerfamilie zeigte IBM ihren ausgeprägten Sinn für Größe. 7,5 Milliarden Dollar sollte der amerikanische Computergigant in diesem Jahr weltweit umsetzen und erstmals in seiner Geschichte mehr als eine Milliarde Dollar Reingewinn erzielen. In den nächsten fünf Jahren wollte und sollte er beides verdoppeln, Gewinn und Umsatz. Die Quelle des gigantischen Wachstums: die neue Computerserie. Sie markierte den Übergang von der Stapelverarbeitung zum Dialogzeitalter, das den Bedarf der Kunden an Rechenkraft ins Unermessliche steigen lassen sollte.
An diesem Tag startete IBM durch zum nächsten Run auf die Großunternehmen, ihrer mit Abstand wichtigsten Kundschaft. Und der anhaltende Konzentrationsprozess in der Wirtschaft ließ ständig noch größere Konzerne entstehen, die noch größere Computer benötigten.
Rund um den Globus wurden zu Beginn des neuen Jahrzehnts nach Ermittlungen der internationalen Beratungsgesellschaft Diebold 111.600 Computer gezählt.[3] Allein 35.000 der größten Rechner der Welt waren in IBM-Fabriken hergestellt worden. Dieses Unternehmen lenkte mehr als 60 Prozent des Weltumsatzes der Computerindustrie in seine Taschen. Bis 1975 sollten der Branchenumsatz auf 27,5 Milliarden Dollar und der Installationsbestand auf 170.000 Systeme weltweit ansteigen. Trotz dieser Steigerung um 120 Prozent sollte IBM immer noch mehr als 50 Prozent des Geschäftes auf sich ziehen. Ihr Umsatzmagnet war dabei die neue Computerfamilie /370, die an diesem 30. Juni1970 vorgestellt wurde.




Quellen:
[3] Die Computer Zeitung, 21.April 1970: „Der Welt-Computer-Bestand« [4] Die Computer Zeitung, 8.Juli, 1970: „System /370: Welt-Premiere in New York, Tokio, Paris«

I: 1.3 18 Millionen Mark für einen Computer und...

Knapp achtzehn Millionen Mark sollte das neue Topmodell mit dem Nummernnamen 165 in einer mittleren Konfiguration kosten. Bei Kauf. Bei Miete - so verkündete der Hersteller - seien es 373.000 Mark. Pro Monat. So etwas konnten sich in der Tat nur Umsatzmilliardäre leisten.[4] Und das etwa halb so teuere, kleinere Rechnermodell /370-155 war auch nur etwas für die 100 größten Kunden in den jeweiligen Landesgesellschaften des Computer-Imperiums.
Den Anwendungsbedarf hatten IBM-Marktforscher weltweit in einem „Sample« von rund 1.000 Großunternehmen studiert. Die Untersuchung hatte gezeigt, dass nun das Dialogzeitalter in den Großunternehmen nahte. Klar, dass unter den Hunderten von verschiedenen Anwendungen, die dabei innerhalb von zwei Jahren analysiert worden waren, nicht die dabei waren, die mittelständische Betriebe normalerweise benötigen – oder gar Freiberufler.[5]



Quellen:
[4] Die Computer Zeitung, 8.Juli, 1970: „System /370: Welt-Premiere in New York, Tokio, Paris«
[5] Die Computer Zeitung, 8. Juli, 1970: „System /370: Welt-Premiere in New York, Tokio, Paris«

I: 1.4 ... ein Mittelständler ist der erste Kunde dieser Rechner: die DATEV


Paumgartner Straße: Bis heute Sitz der DATEV
Doch es war eine kleine Firma, die Freiberuflern gehörte und im Geschäftsjahr 1969 bei einem Umsatz von gerade 10,7 Millionen Mark einen winzigen Ertrag von 467.000 Mark erzielt hatte, die “als erstes deutsches Unternehmen“ – so das Fachblatt „Die Computer Zeitung“ am 5. August 1970 – das neue Spitzenprodukt der International Business Machines Corp. orderte. Der Name des Kunden: DATEV e.G. mit Sitz in Nürnberg.[6]
Dieses Service-Rechenzentrum wollte sich rechtzeitig mit Rechenleistung eindecken, um den großen Sprung von der reinen Stapelverarbeitung in das Online-Verfahren zu wagen. Deshalb bestellte der Vorstand dieses winzigen Unternehmens am Tag nach der Ankündigung nicht nur ein, sondern gleich zwei Top-Modelle /370-165. Nach Adam Riese kamen damit mehr als acht Millionen Mark Jahresmiete auf das Unternehmen zu.

Quellen:
[6] Die Computer Zeitung, 5. August 1970: „DATEV mit IBM /370-165«

I: 1.5 Durch Computer eine Firma ruinieren?

Konnte sich diese kleine Firma soviel Technologie-Besessenheit leisten? Hatte die Geschäftsführung das Rechnen verlernt? War das nicht tollkühn und mehrere Nummern zu groß? Womit wollte das Unternehmen künftig die Gehälter seiner 230 Mitarbeiter bezahlen? Wollte der Vorstand seine Firma ruinieren? Immerhin schien er dazu die neueste und sicherste aller Methoden gewählt zu haben: den Computer.
Die Entscheidung wirkte umso grotesker, als die DATEV in einem sterbenden Markt operierte: Freie Service-Rechenzentren hatten ihre Zukunft eigentlich hinter sich. Immer mehr Großanwender stellten ihre Computerleistung auch Dritten zur Verfügung, vorwiegend kleinen Firmen, denen die Anschaffung und der Betrieb eines eigenen Rechners einfach zu teuer war. Allein in der Bundesrepublik waren so bis 1970 rund 500 Service-Rechenzentren entstanden, die ausschließlich oder teilweise für Dritte arbeiteten; zwanzig Jahre später sollten es nur noch 150 sein.


I: 1.6 Die teuren Leitungen der Deutschen Bundespost

Der technologische Fortschritt, der Preisverfall sowie der Boom von Anwendungsprogrammen und Personal Computern sollten in den achtziger Jahren den Niedergang dieser Branche verursachen. Aber ihr größtes Handicap sollten nach ihrem eigenen, subjektiven Empfinden die »Gebührensätze und Richtlinien der Post“ werden, wie eine 1988 durchgeführte Untersuchung bei 61 Service-Rechenzentren ergab. Sie behinderten die Expansion.[7]
Tatsache ist, dass Anfang der siebziger Jahre die Einführung des Dialogverfahrens, das eine direkte Verbindung zwischen einem Bildschirm und dem Rechner verlangt, die DV-Welt gründlich veränderte. Und die hohen Kosten für Leitungen zu ihren Kunden haben den freien Rechenzentren das Leben immer schwerer gemacht. Nur wer über ein dichtes Netz an dezentralen Zugangsstellen zum Zentralrechner verfügte, konnte die Gebühren in den Griff bekommen. Aber das war ebenso kapitalintensiv wie die Ausstattung der Rechenzentren mit genügend Kapazitäten. Unmengen von Daten, die bald nur noch in Tausenden von Megabytes, in Gigabytes, gemessen wurden, mussten auf Magnetplatten vorgehalten werden.




Quelle:
[7] Peter Schulte, 5. Dezember 1988: „Die Problematik der Service-Rechenzentren - derzeitige Situation und Aussichten« (Diplom-Arbeit), Wetzlar

I: 1.7 Die Welt voll Lohn und Gehalt und Fibus

1970 war so etwas wie das Schaltjahr von der Stapelverarbeitung (Batch-Betrieb) zum Dialog- und Online-Verfahren. Die Batch-Ära – das war die Blütezeit der Service-Rechenzentren und ihrer Mehrwertdienste. Alle Branchen wurden mit diesen Dienstleistungen versorgt. Die von der Datenerfassung getrennte Verarbeitung von Massendaten, die auf Datenträgern wie Magnetband, Lochkarten oder Lochstreifen über den Postversand angeliefert wurden, war der große Renner. Auch IBM hatte überall in der Welt Service-Rechenzentren eröffnet, die solche Dienste zur Verfügung stellten.
Die klassischen Anwendungsfelder waren Finanzbuchhaltung sowie Lohn- und Gehaltsabrechnung.
Und in diesem Geschäft war die DATEV eigentlich nur ein kleiner Fisch.


I: 1.8 Mickey-Mouse-Computer und Piccolo-Platten

War IBM verrückt geworden, dass sie die Unterschrift der Spitzenmanager dieser Genossenschaft auf dem Mietschein akzeptierte? Das war doch allenfalls ein Kunde für den gerade in Aufbau befindlichen Vertriebsbereich Basisdatenverarbeitung, der sich mit kleinen Systemen (IBM /3) um den Mittelstand kümmern sollte. Für solche Anwender der so genannten Mittleren Datentechnik hatten die Großsystemleute doch sonst nur ein müdes Lächeln übrig und verwiesen sie an die Kollegen von der Mittelstands-Truppe. Deren Rechner nannten sie verächtlich Mickey-Mouse-Computer und die dazu passenden Magnetplattensysteme Piccolo. Das allein war die richtige Arme-Leute-DV für ein derart kleines und ertragsschwaches Unternehmen wie die DATEV.


I: 1.9 Ein Vorstand im High-Tech-Rausch?

Und mussten obendrein auch noch Fachjournalisten die DATEV völlig unmöglich machen, indem sie den Vorstandsvorsitzenden der Genossenschaft in ihren Publikationen erklären ließen, dass dies Unternehmen mit der Installation dieser beiden Größtrechner das leistungsfähigste und größte Rechenzentrum auf berufsständischer Ebene der Welt besäße?[8] Waren denn alle vom Größen-Wahnsinn befallen? Hatte der High-Tech-Rausch alle Hemmungen abgebaut? Gab es keine kritische Instanz mehr in diesem Markt?
Der Name des tollkühnen Bestellers, der an der Spitze dieser Firma stand: Heinz Sebiger, 47 Jahre alt, Diplom-Volkswirt, wohnhaft in Nürnberg, glücklich verheiratet, zwei Töchter. In seiner Heimatstadt war dieser Mann als vernünftiger und gewissenhafter Steuerberater bekannt.



Quelle:
[8] Die Computer Zeitung, 5. August 1970: „DATEV mit IBM /370-165«

I: 1.9 Aufgewachsen in kleinsten Verhältnissen...

Der Nürnberger war in bedrückenden Verhältnissen aufgewachsen. In seinem Geburtsjahr 1923 zählte das Deutsche Reich 3,4 Millionen Arbeitslose und 2,3 Millionen Kurzarbeiter. Die Inflation hatte den Dollarpreis auf 57.000 Papiermark hochgetrieben. Mehr als der Besuch der Volksschule und eine kaufmännische Lehre bei der HOCHTIEF AG waren nicht drin gewesen. Schließlich kam der Zweite Weltkrieg: Arbeitsdienst und Wehrdienst als Gebirgsjäger und zwei Jahre Kriegsgefangenschaft in Südfrankreich lagen hinter ihm, als er 1947 in seine Heimatstadt zurückkehrte. Der junge Mann fand im Hopfenhandel eine neue Anstellung, und in Abendkursen erlangte er 1947 das Zertifikat als Bilanzbuchhalter.
Wenige Jahre später hatte er es geschafft. Er besaß am Hauptmarkt als anerkannter Helfer in Steuersachen eine eigene Kanzlei mit sieben Angestellten.


I: 1.10 ... zwischen Schulbank und eigener Kanzlei

An der Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften holte er in Abendkursen mit einer Sonderreifeprüfung das Abitur nach, obwohl er als Volksschulabgänger gar nicht die Voraussetzungen erfüllte. Nun besaß er die Voraussetzung für das von ihm ersehnte Studium der Nationalökonomie.
Daneben musste die Kanzlei weiterlaufen. Ohne die Mithilfe seiner Frau wäre dies undenkbar gewesen.
In dieser Zeit machte Sebiger drei Grunderfahrungen, die seinen weiteren Lebenslauf prägen sollten. Das Studium lehrte ihn, hinter die Dinge zu schauen, mit denen er bislang als Helfer in Steuersachen so selbstverständlich umgegangen war. Es schärfte seinen kritischen Verstand. Zudem nahm er 1957 an einem vierzehntägigen Kurs bei der IBM teil und erlebte hier die Faszination des damals bestgeführten amerikanischen Unternehmens. Doch die wohl wichtigste Erkenntnis gab ihm einer seiner Lehrer, Professor Dr. Ernst Wohlgast, mit auf den Weg.
Während einer Vorlesung über Öffentliches Recht hatte der Wissenschaftler sich einmal die Studenten zur Brust genommen und erklärt: „Wenn Sie schon das große Glück haben, studieren zu dürfen, dann sollten Sie daran denken, dass Sie dies in erster Linie der Gemeinschaft zu verdanken haben. Mit Ihren Gebühren bezahlen Sie Ihr Studium nicht. Ein Hochschulabsolvent ist deshalb dazu verpflichtet, sein Wissen im Interesse der Gesellschaft einzusetzen, die ihm dieses Studium ermöglicht hat.« Diese Worte gingen Sebiger nicht mehr aus dem Kopf. Urteilskraft, Begeisterung und Idealismus waren die drei Werte, die, über das Fachwissen hinweg, seinen weiteren Lebensweg bestimmen sollten.



I: 1.11 Der Diplom-Volkswirt Heinz Sebiger und...

Sebiger war 36 Jahre alt, als er schließlich 1959 sein Diplom in der Tasche hatte. Damit besaß er alle Voraussetzungen, um seine Mandanten bestens zu beraten.
Aber er wollte sein Wissen und sein Können auch in seinen Berufsstand einbringen, den er als Teil der Gesellschaft empfand, der er sich verpflichtet fühlte. Als Vizepräsident und später als Präsident der Kammer der Steuerbevollmächtigten in Nürnberg gehörte er seit 1961 zu den Honoratioren seiner Stadt und seines Berufsstandes. Außerdem war er Vorsitzender des Fachausschusses »Steuern« bei der Bundeskammer der Steuerbevollmächtigten.
Kurzum: dieser zielstrebige und ehrgeizige Bundesbürger machte überhaupt nicht den Eindruck eines Hazardeurs.

I: 1.12 ... die Millionenmiete für zwei Maschinen...

Und doch hatte dieser Mann am Tag nach der Ankündigung im Namen eines Unternehmens, das ihm weder gehörte, noch dessen fest angestellter Mitarbeiter er war, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Joachim Mattheus einen millionenschweren Mietvertrag unterschrieben.
Hatte er die Folgekosten einer solchen Anschaffung bedacht? Allein die Stromrechnung für Computer und Klimageräte. Dann die Personalaufwendungen. Schließlich die Zusatzinvestitionen in Peripheriegeräte.

I: 1.13 ... und 5000 Eigentümer

Sebiger besaß zwei Anteile in Höhe von insgesamt 1.000 Mark an dieser DATEV, aber damit war er nur einer von damals knapp 5.000 Eigentümern, die allesamt wie er dem steuerberatenden Beruf angehörten und diese kleine Genossenschaft als Gemeinschaftsunternehmen gegründet hatten. Sebiger war der ehrenamtliche Vorstandsvorsitzende dieser Firma, hinter der nicht die Gewinnerzielung, sondern ein berufsständischer Zusammenschluss als Absicht stand. Konnte er überhaupt beurteilen, was er da mitunterschrieben hatte? Missbrauchten er und seine Vorstandskollegen mit ihrer Unterschrift nicht das Vertrauen der Kollegen und des Aufsichtsrates, der diese Entscheidung gebilligt hatte? Konnten seine Mitarbeiter überhaupt solch eine Rieseninstallation managen?[9] Wie dem auch sei: Ein durch und durch seriöser und strebsamer Steuerberater bestellte kraft seines Ehrenamtes zwei Riesenrechner für eine winzige Genossenschaft, an der nur zweierlei groß war: - die Zahl der Computerlaien, denen diese Firma gehörte, - und ihr Name, so wie er damals ins Genossenschaftsregister eingetragen war: DATEV GmbH Datenverarbeitungsorganisation der Steuerbevollmächtigten für die steuerberatenden Berufe in der Bundesrepublik. Das schien absurd. Das machte doch gar keinen Sinn. Versuchen wir also einen neuen Anfang!



Quelle:
[9] Die Computer Zeitung, 21. April .1970: »Großcomputer für die Kleinen«

Freitag, 30. Januar 2009

Kapitel I: 1961-1970: Von der Mehrwert-Steuer zum Mehrwert-Dienst



»Die Nutzung der Computer ist viel schwieriger als ihre Fabrikation. Es kommt dabei auf Intelligenz und Teamwork an, und darin liegt Europas Aufgabe, wenn es das Problem begreift. Europa muss im Aufbau seiner Strukturen intelligenter sein, da es mit seiner industriellen Ausrüstung im Rückstand ist. Auf diese Weise könnte es, wenn es wirklich den politischen Willen dazu hätte, alle Aktivitäten der Zukunft auf seine Weise prägen, von den Geisteswissenschaften bis zur Leitung der Wirtschaftsunternehmen.«

»Die amerikanische Herausforderung«, Jean-Jacques Servan-Schreiber, 1968[1]

Quellen:
[1] Jean-Jacques Servan-Schreiber, 1967, „Le défi americaine“ zitiert nach der deutschen Fassung, 1968: „Die amerikanische Herausforderung«, erschienen bei Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, Seite 151


Dienstag, 27. Januar 2009

000: Vorspiel

»Fast wollte ich mit und dabei sein.«
Günter Grass: »Die Plebejer proben den Aufstand«
Uraufführung am 15. Januar 1966 im Schiller-Theater Berlin


Es geschah an einem bitterkalten Tag...
Nürnberg. Freitag, 14. Januar 1966. 14.00 Uhr.
Die Minuten verstri­chen. Immer noch kamen Berufskollegen zur Tür herein. In der Nacht wa­ren die Tem­pe­raturen auf minus 15 Grad gesunken. Es war glatt auf den fränkischen Stra­­ßen. Schließlich hatten sich 106 Steuerbevollmächtigte aus dem Kammerbezirk durch das eisige Win­ter­wet­ter gewagt. Hier am Kornmarkt, im Großen Saal des Christlichen Ver­eins Junger Männer (CVJM), hatten sie sich ge­trof­fen, um einen Vorschlag ihres Präsidenten Heinz Sebiger zu disku­tieren: »die Gründung eines zentralen Re­chen­zentrums auf genossenschaftlicher Basis«.
Es war kurz nach 14.00 Uhr, als Sebiger den Vizepräsidenten Dr. Gerhard Nopitsch antipp­te. »Es fehlen zwar noch rund 30 Kollegen, aber wir fangen jetzt an.« Nopitsch nickte.

Ein Markt von einer Million Buchungszeilen
Sebiger ging zum Podium. Winter und Wetter waren vergessen. Jetzt ging es da­rum, die Zukunft zu buchen. »Dies ist eine Interessenten­be­spre­chung«, erklärte der Nürnberger. »Die Umfrage unserer Kammer, die wir im Rationalisierungsausschuss erarbeitet und am 25. No­vem­ber vergangenen Jahres an die 1.600 Mit­glie­der verschickt haben, war ein großer Erfolg. 404 Kollegen haben die zum Teil sehr schwie­­rigen Fragen beantwortet. Das Ergebnis ist eindeutig. Die­ Mandanten kommen im verstärkten Maße auf unseren Berufsstand zu mit dem Wunsch, dass wir für sie die Buchführung überneh­men. Lie­be Kollegen, wir können uns diesem Ansinnen wohl kaum entziehen, ob­wohl es große organisatorische und technische Anforderungen an je­den von uns stellt. Die Auswertung der Umfrage ergab, dass al­lein bei den Kollegen, die den Fragebogen ausgefüllt zurück­sand­ten, ein monatlicher Bedarf von mehr als einer Mil­lion Bu­chungs­zeilen pro Monat besteht. Im Rationalisierungsausschuss, den wir im ver­gangenen Jahr auf Kammerebene gegründet haben, sind wir zu der Erkenntnis gekommen, dass dahinter eine Aufgabe steht, die wir ge­meinschaftlich lösen müssen. Wir haben Ihnen deshalb mit der Um­frage die Idee vorgestellt, ein Rechenzentrum auf genos­sen­schaft­licher Basis zu gründen. Die nun vor­liegenden Ergebnisse bestätigen die Richtigkeit dieser Idee. Immerhin stehen 130 Kol­le­gen der Gründung eines Rechenzentrums grundsätzlich positiv ge­genüber.«

»Was sollen wir mit 68.000 Mark?«
Dann stellte Sebiger seinen Fachmann vor: Joachim Mattheus, eben­falls Steuerbevollmächtigter in Nürnberg und Computer-Experte. De­tailliert erläutert Mattheus das organisatorische und tech­ni­sche Konzept, das hinter der Idee steht. Die Teilnehmer sind be­eindruckt. Zwar gibt es noch viele offene Fragen, die auch hef­tig diskutiert werden, doch als es nach zwei Stunden zum Schwur kommt, zeichnen spontan »68 Kollegen eine ver­bindliche Zu­sage über den Beitritt zur Genossenschaft«, vermerkt das Protokoll.
Die Akzeptanz war höher als erwartet. Zwar wusste keiner so recht, was da auf ihn zu­kam. Aber auf jeden Fall wirkte das Konzept zukunftsträchtiger als die Lösungen, die sie bislang auf eigene Faust in ihren Kanzleien er­probt hatten. Dieser Vorschlag war den Einsatz wert. Und dies erst recht, nachdem Mattheus vorgeschlagen hatte, den ur­­sprüng­lich auf 1.000 Mark fixierten Genossen­schafts­anteil je Mit­glied zu halbieren. »Was sollten wir mit 68.000 Mark Startka­pi­tal? Die Hälfte tut's auch.«
So wurde der entsprechende Passus auf dem Beitrittsformular hand­schriftlich von jedem der 68 Gründer geändert. Und sie taten es ger­ne: denn 1.000 Mark war eine Stange Geld, fast ein Monatseinkommen.
Nun musste nur noch das Fähnlein gefunden werden, das die Schluss­fassung der Sat­zung ausarbeitete, der Genossenschaft ihren Namen gab und alle Formalitäten mit dem Registergericht regelte. Einen Monat später, am 14. Februar 1966, wurde die DATEV end­gültig ge­grün­det.