Montag, 16. März 2009

4.0 Der Wert der Mehrwertsteuer


4.1 Die Computer der Finanzämter

Mit Inbetriebnahme des eigenen Rechenzentrums hatte der steuerberatende Beruf ein wenig mit den bundesdeutschen Finanzämtern gleichgezogen, die – so Strauß in seinem Vortrag im Grand-Hotel – 1968 bereits 90 Prozent der Lohnsteuerjahresausgleiche mechanisch abgewickelt hatten.[1]»Hochwertige Technik zog in die Finanzämter schon lange vor dem zweiten Weltkrieg ein«, berichtet 17 Jahre später Hanns Püschel, Ministerialrat in Bonn, in der Zeitschrift »DSWR« (Datenverarbeitung, Steuer, Wirtschaft, Recht) über die Anfänge.
Schon Ende der fünfziger Jahre war der Staat mit seinen elf Lan­des­finanzverwaltungen bereits so weit, den Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Einkommensteuer-Veranlagung mit Hilfe der Computer der ersten Generation abzuwickeln. Von da ab gab es kein Halten mehr. Rund 20 Millionen Steuererklärungen wurden alsbald computerunterstützt bearbeitet. Eine neue Infrastruktur entstand. Püschel: »Von den Angehörigen der steuerberatenden Berufe – Bindeglied zwischen Steuerzahler und Verwaltung – wurde sie aufmerksam registriert, weniger von der Öffentlichkeit. «[2]
Quelle:
[1] Nürnberger Zeitung, 1.2.69: „Finanzminister Strauß ging in die Luft“
[2] DWSR, 2/86, Hanns Püschel: „EDV in der Steuerverwaltung - gestern, heute morgen“

4.2 Sieben Jahre für die Mehrwertsteuer

Dass die Steuerberater da irgendwann gegenhalten mussten, war klar. Hochaktuell wurde diese Gegenoffensive mit der Einführung der Mehrwertsteuer am 1. Januar 1968. Jetzt waren die Steuerberater als »Bindeglied zwischen Steuerzahler und Verwaltung« voll gefordert. »Viele der kleinen und mittelständischen Firmen waren von dieser Neuerung überfordert«, blickt Sebiger zurück. In der Tat – die Einführung der Mehrwertsteuer erschütterte Mitte der sechziger Jahre die bundesdeutsche Wirtschaft. Der Bund der Steuerzahler bemerkte damals: »Grundsätzlich begrüßt der Bund der Steuerzahler die Abschaffung der kumulativ wirkenden Brutto-Allphasenumsatzsteuer und die Einführung der Mehrwertsteuer, doch hält er den Termin, den 1. Januar 1968 für übereilt, da der Wirtschaft keine ausreichende Vorbereitungszeit eingeräumt wird.«[1]Nach mehr als siebenjähriger Vorbereitung war am 2. Juni 1967 das neue Umsatzsteuergesetz verkündet worden, das dann bereits am 1. Januar 1968 in Kraft treten sollte.

[1] Die Mehrwertsteuer, Einführung in das neue Umsatzsteuersystem mit praktischen Beispielen, Herausgegeben vom Präsidium des Bundes der Steuerzahler, August 1967, Bad Wörishofen

4.3 Die europäische Steuer-Harmonie

Eine Fülle von Maßnahmen mussten die Unternehmen beim Umstieg auf die neue Steuer einleiten, die nach Meinung der Tageszeitung »Die Welt« die »wichtigste wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidung seit Entstehen der Bundesrepublik Deutschland« darstellte.[1] Nach Aussage der Deutsche Bank AG sei die Mehrwertsteuer als ein »Systemwechsel tiefgreifendster Art« zu betrachten. Sie sei gar »im Hinblick auf die davon betroffene steuerliche Größenordnung die bedeutendste Steuerreform nicht nur der Bundesrepublik, sondern der deutschen Finanzgeschichte schlechthin«, schrieb die Bank.[2]
Die Einführung der Mehrwertsteuer hatte sogar internationale Bedeutung, da sie im Rahmen der Bemühungen stand, unter den Mitgliedstaaten der damaligen Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG) das Steuersystem zu harmonisieren. So hatte das Europäische Parlament am 21. Oktober 1965 einstimmig den Ministerrat dazu aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Steuergrenzen beseitigt und die Umsatzsteuern harmonisiert werden.
[3] Am 11. April 1967 war es dann soweit: Der Ministerrat genehmigte die Richtlinien zur Einführung der Mehrwertsteuer. Zwei Wochen später hatte auch der Bundestag das Reformgesetz verabschiedet. Und der Bundesrat zog am 12. Mai 1967 nach. Mit der Einführung am 1.1.1968 war die Bundesrepublik zeitgleich mit Frankreich das zweite Land nach Dänemark (1. Juli 1967), das im Rahmen der Harmonisierung des Steuersystems innerhalb der EWG diese neue Steuer einführte. (In Großbritannien dauerte es noch bis zum 1. April 1973, also dem Jahr, in dem das Vereinigte Königreich der Europäischen Gemeinschaft beitrat.)

[1] Die Welt, 18.1.63, Helmut Borgböhmer
[2] Einführung in die neue Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer), Juni 1967, Deutsche Bank AG
[3] Politische Wegbereiter der Mehrwertsteuer, Curt Becker und Manfred Luda, Ludwigsburg, 1967

4.4 Der 20-Milliarden-Deal

Die Idee der Mehrwertsteuer hatte erstmals 1957 der Bundestagsabgeordnete Dr. Curt Becker in die Öffentlichkeit getragen. Der Unternehmer hatte am 16. November 1957 in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« seine Vorstellung einer Reform der bisherigen Allphasen-Steuer vorgeschlagen und löste damit eine »Schockwirkung« aus. »Den beteiligten Kreisen wurde klar, dass jede Mehrwertsteuer ein fundamentales Umdenken bedingen würde«, bemerkt Wolfgang Frickhöffer, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, 1967 in einer Veröffentlichung.[1]Doch diese Gedankenarbeit setzte erst so richtig ein, als das neue Steuersystem aktuell wurde: »Die Mehrwertsteuer ist nicht, wie die alte Umsatzsteuer, in unbekannter Höhe im Preis enthalten, sondern läuft – wie ein durchlaufender Posten – neben dem Preis her. Sie hat also im Gegensatz zur alten Umsatzsteuer keine kumulierende Wirkung«, erklärt eine Schrift des Bundes der Steuerzahler. Zudem mussten die Kalkulation auf eine neue Basis gestellt und beim Übergang die Warenlager überprüft werden. Denn hier waren ja noch Waren enthalten, die mit der alten Umsatzsteuer belastet waren. Es kam prompt zu einem rapiden Abbau der Lagerbestände. Bei der Kalkulation musste – nach damaligen vorsichtigen Schätzungen – ein Volumen von 20 Milliarden Mark umgeschichtet werden.

[1] Politische Wegbereiter der Mehrwertsteuer, Curt Becker und Manfred Luda, Ludwigsburg, 1967